Zeig mir deine Schrift und ich sage dir, wer du bist
Von Christoph Eberle

Die Handschrift – ein Spiegel der Persönlichkeit. Fachleute können sie entschlüsseln.
Graphologe Dr. Helmut Ploog analysiert auch Schriften von Prominenten wie die von Angela Merkel und Papst Benedikt XVI.

Daniel B. sitzt am Computer und schreibt Bewerbungen. Nach dem Abitur will der 21-Jährige aus Waldkirchen eine Ausbildung bei einem großen bayerischen Arbeitgeber beginnen. Das Anschreiben ist fertig. Nun folgt der Lebenslauf – Geburtsort, Schullaufbahn, Praktika und so weiter. Das Ganze zwei Mal, denn neben dem tabellarischen fordert das Unternehmen auch ein handgeschriebenes Exemplar. Zwar besteht heutzutage nur noch ein Bruchteil der deutschen Firmen auf die mit Kuli oder Füller verfasste Kurzbiografie, ausgestorben ist dieser Bewerbungsteil aber auch in Zeiten von PC und Internet nicht. „Warum aber will das Unternehmen eine Schriftprobe von mir?“, fragt sich Daniel B. Rechnen muss der junge Mann auf alle Fälle damit, dass seine Bewerbung nicht nur inhaltlich genauer unter die Lupe genommen wird. Einen ersten Eindruck wird sich der Personalchef sicher vom Schriftbild machen – wirkt es sauber und ordentlich oder eher chaotisch? Möglicherweise reicht er den Lebenslauf sogar an einen Profi weiter und lässt ihn graphologisch untersuchen. Firmen, die das machen, versprechen sich davon, mehr über ihre Bewerber zu erfahren.

Wer seine Schrift schönt, tut sich keinen Gefallen
Laut Dr. Helmut Ploog, Vorsitzender des Bundesverbandes geprüfter Graphologen/Psychologen ist die Handschrift prall gefüllt mit Hinweisen zu Charakterzügen und innerem Verhalten. Diese lassen sich sogar im wahrsten Sinne des Wortes zwischen den Zeilen herauslesen, denn der Zeilenabstand ist eines der vielen Kriterien, die Graphologen in ihre Bewertung einfließen lassen. Weitere markante Merkmale sind etwa Schrifthöhe, Verbundenheit der Buchstaben, Regelmäßigkeit, Verschnörkelungen oder Vereinfachungen. Daniels nach rechts geneigter Schrift würde ein Fachmann wohl Kontaktfreude und Aufgeschlossenheit zuordnen. Für seinen Ausbildungsberuf wäre das schon einmal positiv, schließlich hat er in diesem Job mit Menschen zu tun und muss rund zweihundert Kilometer weg von seinem Heimatort – wenn er da offen für Neues ist, schadet das auf keinen Fall.

In der Regel untersucht der Graphologe das Originalschriftstück, denn es spielt auch eine Rolle, wie fest der Schreiber seinen Stift aufs Papier drückt – ob eher schwach und zaghaft oder fast schon mit roher Gewalt. Auf einer Kopie wäre das nicht möglich. Den Vorteil der Graphologie gegenüber anderen Methoden zur Bewerberauslese, wie Assessment-Center und Eignungstest, sieht Helmut Ploog darin, dass die Handschrift unverfälschter ist. Die Aufgaben bei Auswahlverfahren seien stets ähnlich strukturiert. Durch mehrmalige Teilnahme oder mit Übungsmaterial könne man sich da eine gewisse Routine und einen Vorteil gegenüber anderen Bewerbern antrainieren. „Bei der Handschrift geht das nicht“, so Ploog. „Wer fälscht, tut sich keinen Gefallen.“

Probiert man absichtlich schöner zu schreiben, wirken die Buchstaben in der Regel langsamer und man drückt den Stift stärker aufs Papier als sonst. Für die Analyse der Persönlichkeit sind diese Merkmale eher negativ – die langsame Schrift könnte beispielsweise als Hang zur Trödelei interpretiert werden. Davon abgesehen ist es äußerst schwierig, das falsche „Ich“ überhaupt lange durchzuhalten. „Am Anfang kann man sich möglicherweise noch verstellen, aber mit der Zeit fällt man immer mehr in sein eigenes Schema zurück“, erklärt Graphologin Claudia Caspers aus Oberschleißheim. Auf einem Extra-Blatt probiert es Daniel aus, seine Schrift zu verstellen, und tatsächlich: Schon nach ein paar Zeilen scheint sein normales Schriftbild wieder durch.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die eigene Bewerbung vom Experten Buchstabe für Buchstabe untersucht wird, ist hierzulande relativ gering. „In Deutschland lassen nur rund zehn bis 15 Prozent der Firmen die Schrift ihrer Bewerber analysieren“, schätzt Helmut Ploog. Franzosen und Schweizer setzen mehr Vertrauen in diese Methode – bei Führungspositionen ziehen dem Verbandsvorsitzenden zufolge sogar bis zu 80 Prozent der Unternehmen, vom mittelständischen Betrieb bis zum großen Konzern, solche Untersuchungen zu Rate.

Wer Lebensläufe analysieren lässt, hängt das laut Ploog aber nicht gern an die große Glocke. Die Kosten einer graphologischen Untersuchung liegen für Firmen bei etwa 250 Euro. Für Privatleute ist das Gutachten günstiger – rund 200 Euro muss man hier rechnen. Kunden sind beispielsweise Eltern, die herausfinden wollen, ob ein bestimmter Studiengang zu ihrem Kind passt, aber auch Paare, die vorhaben zu heiraten.

Unterschrift zeigt, wie man sein möchte
Mittlerweile ist Daniel B. fertig mit seinem Lebenslauf. Fehlt nur noch die Unterschrift. Zum einen als korrekter Abschluss für den Curriculum Vitae, zum anderen als wichtiger Bestandteil der graphologischen Analyse. Solo lässt sich die handschriftliche Unterzeichnung aber nicht beurteilen. „Die Unterschrift zeigt nicht, wie man ist, sondern wie man sein möchte. Für die Deutung der Schrift reicht sie nicht aus“, sagt Ploog. Nun rein ins Kuvert mit dem Lebenslauf zu den anderen Unterlagen. Umschlag zu und ab die Post zum potenziellen künftigen Arbeitgeber. Und von dort aus möglicherweise auf den Schreibtisch des Graphologen.

Wie wird man Graphologe?
Die Bezeichnung „Graphologe“ ist nicht geschützt. Grundsätzlich könnte sich daher jeder so nennen. In der Regel erfolgt die Ausbildung zum Graphologen aber als Fernlehrgang über Verbände, wie den Berufsverband geprüfter Graphologen/Psychologen. Auf Anfrage schickt der Verband Lehrmaterial zu. Inhalt sind neben den Merkmalen der Schrift auch psychologische Grundlagen. Zur Vertiefung des Stoffes bietet der Verband Seminare und Tagungen an. Nach zwei bis drei Jahren Ausbildung und einer Zwischenprüfung erfolgt die Abschlussprüfung. Mindestvoraussetzung für die Teilnahme an der Ausbildung ist die abgeschlossene mittlere Reife.