Fingerabdruck der Persönlichkeit
Graphologie hat Kritiker, doch viele Personalchefs setzen auf Schriftgutachten

Schön schreiben, sauber und deutlich: Mancher mit ausgeprägter ‚Klaue’ scheiterte bereits zu Schulzeiten daran. Heute gibt’s zum Glück E-Mails und Laserdrucker. Handschrift als Visitenkarte?

Das gilt immer noch: für Liebesbriefe. Und für Graphologen.

Auch in Zeiten, in denen der handgeschriebene Lebenslauf bei der Bewerbung ausgedient hat, gibt es Personalchefs, die bei der Einstellung von Führungskräften nicht auf ein schriftpsychologisches Gutachten verzichten wollen. Als ergänzende Information. Das ist hier zu Lande nicht so populär wie etwa in der Schweiz oder Frankreich, wo bis zu 85 % der Chefs darauf setzen. Doch Dr. Helmut Ploog, Vorsitzender des Berufsverbandes geprüfter Graphologen/Psychologen, fallen auf Anhieb bei seinen Kunden neben Kleinbetrieben und Mittelständlern ein großer Medienkonzern und ein bekannter Discounter ein. Eine Schriftanalyse koste 200 bis 300 Euro und sei allemal günstiger, als eine Fehlentscheidung, argumentiert er.

„Es kommt wenig darauf an, wie wir schreiben, aber viel, wie wir denken!“ sagte der Schriftsteller Gotthold Ephraim Lessing. Doch dem Schriftpsychologen ist’s beinahe eins. Die Graphologie ist eine Ausdruckswissenschaft, die hier zu Lande auf eine 100-jährige Geschichte zurückblickt, erläutert Helmut Ploog. Er selbst ist 30 Jahre als Gutachter im Geschäft, bringt an der Uni München Psychologiestudenten die Grundlagen der Schriftkunde bei. „Ein Graphologe lernt, den Ausdruck der Schrift zu interpretieren – als eine Form der Körpersprache auf feinmotorischer Ebene.“

Den Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit läßt Ploog nicht gelten. Immerhin 50 Doktorarbeiten gebe es zum Thema, und: Durch Tests, wie die Psychologen es gern machten, sei die Arbeit der Graphologen schwierig zu beurteilen. „Besser ist es, Personalchefs ein halbes Jahr später zu befragen.“

Drei Jahre muß man lernen, um sich geprüfter Graphologe nennen zu können – rund 90% der ca. 600 deutschen Graphologen sind weiblich. Geschützt ist die Bezeichnung nicht. Wohl auch einer der Gründe, daß die Schriftpsychologie vielen als unseriös gilt. Helmut Ploog hält eher das niedrige Niveau der Graphologen in den USA für eine Ursache.

Was braucht der Graphologe für ein Schriftgutachten? Alter, Geschlecht, Beruf. Eine Seite Text – handschriftlich natürlich, Inhalt und Lesbarkeit sind egal. Plus Unterschrift, denn die Normalschrift zeige wie man wirklich ist, und das Signum, wie man sich nach außen darstellt, erklärt Dr. Ploog.

Untersucht wird der Gesamteindruck der Schrift: Bewegung, Rhythmus, Tempo, Druck, Ober- und Unterlängen und vieles mehr. Das gut ein Schriftgutachter zwar auch, der die Korrektheit einer Unterschrift prüfen muß. Der Graphologe geht einen Schritt weiter und interpretiert. Zieht Rückschlüsse auf die Gesamtpersönlichkeit, auf intellektuelle Fähigkeiten wie Kreativität; bewertet Leistungsvermögen wie Belastbarkeit und die soziale Kompetenz wie etwa Teamverhalten. Weder werden Einzelmerkmale der Schrift Eigenschaften zugeordnet, noch Schicksalsdaten herausgelesen.

„Schrift läßt sich nicht verstellen,“ erklärt Ploog. Und meint damit, daß der Schriftkundler den Täuschungsversuch erkennt: der Strich werde dicker, die Schrift steiler und langsamer, zäher. Handschrift sei „Gehirnschrift“ erläutert der Fachmann, sie bleibe sich stets gleich, egal ob Hand oder, nach einem Unfall etwa, Fuß oder Mund das ausführende Schreib-Organ seien.

Den Personalchef, der seine Handschrift unter die seiner Bewerber geschmuggelt hat, konnte Ploog gleich entlarven.

Männer und Frauen schreiben übrigens unterschiedlich: Bei Frauen sei oft die Mittelzone größer ausgelegt, mit wenig Ausschlägen nach oben oder unten, was einer Orientierung im Nahbereich entspreche, erklärt Ploog. Die typische Männerschrift sei im Mittelband klein, mit starken Ausschlägen nach oben und unten, was für Dynamik und Aktivität stehe. Doch das sei eine Faustregel, es gebe immer Mischformen. A propos Männer und Frauen: Wer die Schrift seines oder seiner Liebsten analysiert haben will, muß auch die eigene Probe abgeben. Denn zum Glück gehören schließlich zwei.

Bettina Kutzner