Karriereführer Hochschulen Von Anne Thesing

Dr. Helmut Ploog, erster Vorsitzender des Berufsverbandes geprüfter Graphologen/Psychologen e.V., erklärt, was es mit der Grafologie auf sich hat: „In der Grafologie geht es darum, aus der Handschrift die Persönlichkeit des Schreibers zu erschließen. Die Schrift wird dabei als Körpersprache auf feinmotorischer Ebene betrachtet.“ Der Berufsverband geprüfter Graphologen wurde 1952 gegründet. Er versucht, Grafologie durch Berufsgrundsätze, Prüfungsverfahren und Qualitätssicherung einen institutionellen Rahmen zu verleihen. Trotz dieser Bemühungen wird die Grafologie von vielen Außenstehenden als „Hokuspokus-Methode“ abgewertet und nicht ernst genommen. Andere dagegen nutzen grafologische Gutachten für eine durchaus ernst zu nehmende Angelegenheit: für die Personalauswahl.

Was die Schrift verrät
Für die Erstellung eines Gutachtens benötigt der Schriftpsychologe eine Handschriftenprobe von mindestens einer DIN A4 Seite, eine Unterschrift und einige Daten zur Person des Schreibers. „Geschlecht und Alter lassen sich nicht aus der Schrift erkennen und müssen daher vorgegeben werden“, erklärt Ploog. „Das Alter zu kennen, ist sehr wichtig. Wenn beispielsweise ein 40-Jähriger kindliche Schriftzüge aufweist, erklären wir im Gutachten, dass es sich um einen sehr jugendlichen Menschen handelt.“ Neben Alter und Geschlecht erhält der Grafologe Informationen zum derzeitigen Beruf und zum Anforderungsprofil des Bewerbers. Liegen alle Informationen vor, kann er mit seiner Arbeit beginnen. Zunächst wirft er einen Blick auf das Gesamtbild der Schrift , anschließend geht es ins Detail. Von Größenverhältnissen und Rhythmus der Schrift bis zu verbundenen, mageren oder vollen Buchstaben muss alles bedacht werden. Anhand der Ergebnise kann der Schriftexperte das Innere des Schreibers nach außen kehren. Gesamtpersönlichkeit, intellektuelle Fähigkeiten, Leistungsvermögen, Arbeitsweise, soziale Kompetenz und seelische Verfassung – dem Grafologen bleibt kaum etwas verborgen. Doch nicht alles kommt ins Gutachten. Hier werden lediglich die Eigenschaften des Schreibers dargestellt, die für das Anforderungsprofil relevant sind.

Handschrift läßt sich nicht trainieren
Trotz der allgemein verbreiteten Skepsis klagen die Grafologen nicht über Langeweile. Allerdings nutzen viele ihrer Auftraggeber die Grafologie nicht isoliert, sondern als ergänzendes Hilfsmittel. Anhand der Gutachten werden im Vorfeld entstandene Eindrücke bestätigt beziehungsweise überdacht.

Schriftpsychologische Verfahren werden vor allem bei der Auswahl von Führungskräften eingesetzt. Bei Berufseinsteigern bevorzugen die Unternehmen herkömmliche Tests oder Assessment Center. Auf diese Einschränkung reagiert Ploog mit Unverständnis: „Das Assessment Center ist wegen des Personalbedarfs teurer, zeitaufwändiger und liefert darüber hinaus weniger verlässliche Ergebnisse als die Grafologie. Die Bewerber können außerdem durch häufige Teilnahmen an verschiedenen Testverfahren bestimmte Situationen trainieren und dadurch ihre Testergebnisse positiv beeinflussen.“ Doch können Bewerber, die mit den Analysekriterien der Grafologie vertraut sind, nicht auch ihre Handschrift „trainieren“? Nein, so leicht lassen sich Ploog und seine Kollegen nicht überlisten: „Wenn jemand seine Handschrift verstellt, wird sie automatisch steiler, langsamer, druckstärker und verliert an Spontaneität. Das erkennt man.“ Schummeln ist also nicht möglich. Lediglich die Tagesform kann das Schriftbild beeinflussen – wie sie auch Tests und Interviews beeinflussen kann. Ploog empfiehlt, einen „guten“ Tag für die Schriftprobe zu wählen. „Idealerweise sollte ein Kandidat eine zügige Schrift zu Papier bringen. Gut und schnell verbundene, eigengeprägte Buchstaben erleichtern unsere Arbeit.“ Vor allem sollte die Schrift nicht schulmäßig aussehen. Denn die Persönlichkeit des Schreibers definiert sich durch die Abweichung von der (Schul-)Norm.

Krisenstimmung

Die Erklärungen des geprüften Grafologen klingen einleuchtend und schlüssig. Bleibt die Frage, warum nur magere 15 Prozent der deutschen Unternehmen der Grafologie trauen – ganz im Gegensatz zu anderen Staaten. In Frankreich und der Schweiz verlassen sich immerhin zwischen 70 und 85 Prozent der Unternehmen auf die Betriebsgrafologie. Dr. Ploog führt das schlechte Image seiner deutschen Kollegen auf den Einfluss Amerikas zurück: „In Amerika wird im Bereich der Grafologie sehr viel Humbug getrieben. Die Methode wird daher von amerikanischen Psychologen sehr kritisch betrachtet. Die deutschen Psychologen wiederum verlassen sich auf die Aussagen der Amerikaner.So wird bei uns eine Meinung verbreitet, die sich auf keine für Deutschland gültigen Erfahrungswerte stützen kann.“